Dienstag, 19. November 2019

Vom Highway-Stau bis zum mobilen Lebensmittel-Roboter

Die Delegation vor dem Strandkorb
des "echten Nordens" im Generalkonsulat
Good morning, California! Der Jetlag wirkt nach, die Nacht endet morgens um fünf, und Tag eins unseres fünftägigen Aufenthaltes beginnt nach amerikanischen Hotelfrühstück um 7:30 Uhr mit der Fahrt im gemieteten Bus von San José – hier im südlichen Teil des Silicon Valley wohnen wir, weil die Hotelpreise in San Franciscso wegen der Dreamforce-Messe schlicht unbezahlbar sind – nach San Francisco.

Über den berühmten Highway 101 ergißt sich eine nicht enden wollende Autoschlange auf vier Streifen gen San Francisco, und in der Gegenrichtung sieht es genauso aus. Wir brauchen für knapp 50 Meilen zwei Stunden! Der Leiter des North Germany Innovation Office, Tim-Ole Jöhnk, erläutert uns auf der Fahrt durch das Silicon Valley, was wir in der Kürze der Zeit aufnehmen können: wir fahren an den Städten vorbei, wo die weltbekannten Unternehmen sitzen: Sunnyvale mit Google und Plug and Play, weiter östlich Cupertino mit Apple, Palo Alto mit Tesla, Hewlett Packard, SAP, Stanford University mit seinem riesigen Campus. Der östliche Teil von Palo Alto ist wirtschaftlich deutlich schwächer aufgestellt als der westliche Stadtteil: den fehlenden Breitbandanschluss versuchen Amazon und Google mit Satellitenschüsseln zu ersetzen, und wer kann sich vorstellen, dass in einem zentralen Ort des Silicon Valley kein Breitbandanschluss besteht?
Stau auf dem Highway: Für 50 Meilen brauchen wir zwei
Stunden Zeit
Die Highschools sind schlechter ausgestattet, die Menschen in Ost-Palo Alto haben keinen Zugang zu frischen Lebensmitteln, dafür aber zu den üblichen Fastfood-Ketten.

Der steigende Meerespiegel macht Palo Alto auf der Bayseite zunehmend zu schaffen. ÖPNV ist nur in geringem Maße vorhanden. Es gibt Bahnverbindungen nach San Francisco, die zwischen 40 Minuten und 2,5 Stunden von San José dauern, das Bay Area Rapid Train BART-System ist veraltet. Google bietet daher eigene Busverbindungen an, die die Mitarbeiter in die Firmenzentrale fahren. Die Einstiegsgehälter liegen bei gut bezahlten Jobs bei etwa 150.000 Euro, was angesichts der exorbitant hohen Miet- und Kaufpreise für Immobilien nicht reicht, um Eigentum zu erwerben. Menschen, die über ein geringeres Einkommen verfügen, pendeln nach San Francisco herein und stehen dafür teilweise schon nachts um drei Uhr auf.

Wir kommen fast pünktlich beim deutschen Generalkonsulat an. Der stellvertretende Generalkonsul Patrick Heinz empfängt uns in dem wunderbar, von den Schweden erbauten Generalkonsulat. Aus dem Büro des GK haben wir einen Blick auf den Bay und die frühere Gefängnisinsel Alcatraz. Mit Patrick Heinz entspannt sich ein sehr offener Austausch über San Francisco und das Silicon Valley. Wir sind im „land oft he free“, die Erwartung der Bürger an staatliches Handeln und staatliche Infrastruktur, Bildung, Sicherheit (ca. 120 Waffen auf 100 Einwohner) und Krankenversorgung ist nicht hoch. Durch die restriktivere Einwanderungspolitik der Trump-Administration beobachtet das GK eine sinkende Zuwanderung und eine steigende Abwanderung - etwa in den Schulen. Auch die Anträge der Wiedereinbürgerung von Familien, die in der NS-Zeit in Deutschland ausgebürgert wurden, steigt.
Blick aus dem Generalkonsulat auf die legendäre Gefängnisinsel Alcatraz

Die Bedeutung der großen Technologieunternehmen im Silicon Valley ist unbestritten. Für diese Unternehmen scheint es irrelevant zu sein, wer Präsident ist. Wagniskapital ist nach wie vor in erheblichen Maßen vorhanden. Der Austausch zwischen Regierung (viele Mitglieder der Obama-Regierung arbeiten in den government relations offices der Tech-Unternehmen), Wissenschaft und Wirtschaft funktioniert. Auch deutsche Unternehmen wie BMW, Mercedes-Benz, Siemens investieren in großem Stil im Silicon Valley. Laut Heinz beträgt die durchschnittliche Standzeit von Arbeitnehmern bei einem Unternehmen im Silicon Valley nur 18 Monate! Dass wir das Northern German Innovation Office im San Francisco eröffnet haben, befürwortet Heinz. Wer die Trends Entwicklungen im SV mitbekommen und hier Kontakte aufbauen und pflegen will, braucht ein solches Office vor Ort. Ohne Verbindungen läuft nichts, und wer nicht vor Ort ist, wird nicht wahrgenommen.

Wir verabschieden uns vom stellvertretenden Generalkonsul mit einem Foto vor dem Strandkorb des echten Nordens, der im Garten des GK steht.  

In unserer Mittagspause kaufen wir – die meisten erstmals – bei Amazon Go ein: mit der App kommen wir in das Geschäft, das ohne Kasse und Personal geführt wird. Kameras und Sensoren registrieren, dass ich mir ein Avocado-Sandwich und einen Smoothie kaufe, der Betrag wird von meiner Kreditkarte abgebucht, als ich das Geschäft verlasse, wenige Minuten später habe ich eine Abrechnung auf meinem Account. Das hat mich beeindruckt!

Wir nutzen die Mittagspause für eine Vorstellungsrunde in den Büroräumen des German Hub, wo auch das NGIO mit Tim-Ole Jöhnk seinen Sitz hat, bevor Dr. Joospeh Pratt, CEO von Golden Gate Zero Emission Marine, der von Frau Dr. Renata Kiefer und James Bridgeman, Mitglieder des San Francisco Kiel Sister City Committee SFKCC begleitet wird, uns über die Entwicklung einer mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellenfähre berichtet. Sein Ziel ist es, eine Null-Emissions-Fähre im Frühjahr 2020 vom Stapel laufen zu lassen, und der Baufortschritt ist offensichtlich weit gediehen. Der Staat Kalifornien hat drei Millionen US-Dollar Fördermittel für die Fähre zur Verfügung gestellt, das noch nicht fertiggestellte Schiff sei bereits verkauft.  Woher der Wasserstoff stamme, wollen wir wissen. Der wird aus Gas und/oder Öl hergestellt. Ja, es sei richtig, dass man nur von Fährbetrieb als solchen als ein Null-Emissionen-Betrieb sprechen könne, die Gesamtbilanz sei negativ. Aber wenn man nicht zeige, dass ein Schiff mit Wasserstoff angetrieben werden könne, gäbe es keine Chance, das Thema alternative Antriebe voranzutreiben. Der Minister lädt Dr. Pratt zu einem Besuch bei tkMS in Kiel ein, um seine Erkenntnisse und Erfahrungen beim Einbau von Brennstoffzellen in Schiffe mit tkMS zu teilen.

Jeder neue Siemens-Kunde wird mit einem
feierlichen Gong-Schlag angekündigt
Unsere dritte Station führt uns in die Katakomben von San Francicso zu dem StartUp Evri.Al. Der CEO und Co-Gründer Saumil Nanavati begeistert uns mit seinem Vortrag. Er lebt für sein Ziel, mobile Roboter zu entwickeln, bei den man Lebensmittel kaufen kann. Rollende Lebensmittelgeschäfte sozusagen, die z.B. in Parks, Einkaufscentern, Sportplätzen, Flughäfen etc. zum Einsatz kommen können. 

Primär geht es um den Einsatz in Gebäuden, noch sind die Roboter nicht wetterfest. Langfristig will Saumil die Daten der Kunden nutzen, um seine Idee weiterzuentwickeln und zu perfektionieren. Er arbeitet mit seiner Co-Gründerin Vicky sieben Tage in der Woche, ist geradezu besessen von der Idee, und wir lassen uns von dieser Begeisterung, von diesem Willen, Neues zu schaffen und die Welt mit der Innovation zu verbessern, mitreißen. Bei nüchterner Betrachtung darf allerdings die Frage erlaubt sein, warum sich eigentlich niemand so recht um das Verkehrproblem im Silicon Valley kümmert, das das tägliche Leben der Menschen hier doch in viel stärkerem Maße beeinflußt als ein mobiler Roboter es in absehbarer Zeit tun wird.


Buchholz mit CEO Daniel Schröder (rechts) und Florian
Michahelles im Siemens Future-Lab
Wir schließen unser Tagesprogramm mit einem Besuch bei dem Siemens Future Lab in Berkeley ab, wo uns Dr. Florian Michahelles (Leiter der Forschungsgruppe) und Daniel Schroeder, CEO von ComFy ihre Ideen und das Lab vorstellen. Worum geht es? ComFy, 100%ige Tochter von Siemens, hat ein System entwickelt, mit dessen Hilfe intelligentes Gebäudemanagement ermöglicht wird .Lichtsteuerung, Bessetzung von Arbeitsplätzen in Großraumbüros, Verfügbarkeit von Parkplätzen etc. wird durch das System gemanagt. Daniel Schroeder stammt aus Kiel, Dr. Michaelles aus Nürnberg. Wir tauschen uns über die Bedeutung von Digital Companions und ihre Funktionsweise aus und kommen über die Gewinnung von Arbeitskräften auf die nach Einschätzung von Herrn Schroeder fehlende Willkommenskultur z.B. der CAU zu sprechen. Der Blick aus dem Silicon Valley auf die schleswig-holsteinischen Gegebenheiten regt an, nachzudenken. Herr Dr. Buchholz lädt unsere Gastgeber nach Kiel ein – auch zu einem Gespräch mit Frau Ministerin Prien, aber auf jeden Fall zur Kieler Woche oder  zur Digitalen Woche.

Wir kehren schließlich noch in Berkeley ein und lassen den Tag bei Fisch und einem Glas Wein Revue passieren, bevor es zurück nach San José geht, wo alle hundemüde ins Bett fallen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen